Winterberg, der Ort, an dem die Ruhr entspringt. Ein Winterskiort, der Name ist Programm. Entsprechend liegt der Campingplatz an einer Skipiste, der gleichmässig ansteigende Hang führt zwischen zwei Waldstücken hindurch. Drahtseile. Oben am Horizont ist eine Wendestation zu sehen. Im flachsten Teil, wo man es mit genügend Schwung gleich wieder zum Skilift schafft, können wir das Zelt aufstellen. Mit etwas Suchen finden wir sogar ein ebenes Plätzchen. Ein älteres Paar sitzt entspannt auf niedrigen Stoffstühlen vor einem Hilleberg-Zelt, zwei Velos lehnen an einem Holzzaun. Wir nicken und winken.

Frühstück zubereiten an der Kasse des Skilifts.
Am nächsten Morgen suchen wir die Ruhrquelle. Der Weg führt theoretisch vom Bahnhof Winterberg zu der Quelle. Wir verfahren uns einmal, dann führt der Weg zum ersten Mal über Gravel. Zwei Mountainbiker überholen uns, woher kommt ihr, wohin wollt ihr, ihr habt ja viel Gepäck. Die Quelle schließlich ist ein dünnes Rinnsal in einem Bett aus Steinplatten. Der eine Mountainbiker erklärt dem anderen, es sei nicht wirklich eine Quelle, vielmehr flössen mehrere winzige Rinnsale zu diesem Rinnsal zusammen, das ab jetzt „Ruhr“ heisst. Irgendwann habe man einfach beschlossen, den Ort hier „Ruhrquelle“ zu nennen.

Ruhrquelle in Winterberg (D).
Durch Wald und Wiesen fahren wir über holperige Waldwege, an grasenden Rindern und eingesommerten Skiliften vorbei. Mittagessen gibt es auf einem Bänkli in einem Wohngebiet; da es zieht, fahren wir bald weiter. Wo keine Tiere grasen und kein Wald ist, stehen personenhohe Neophyten und Unkraut – Springkraut, Japanknöterich, Brombeeren. Wo ist eigentlich die Ruhr, frage ich mich.

Wo ist eigentlich die Ruhr, frage ich mich.
Olsberg: Wir verfahren uns kurz, weil der Veloweg gesperrt ist. Was wir finden, ist eine Konditorei, die mit Tischen in der Sonne lockt. Wir sitzen an der Ruhr (denn plötzlich war sie da!) und trinken Kaffee. Da es zu regnen anfängt, flüchten wir ins Innere und fühlen uns mit den verschwitzten Radlerklamotten inmitten der filigranen Möbel und den Stoffbezügen etwas deplatziert.

Kaffee und Kuchen zur Stärkung.
Der Tag vergeht mit einigen erstaunlichen Anstiegen. Stefanie schimpft von hinten, das dürfe man ja niemandem erzählen, dass man am ersten Tag am Ruhrtalradweg dreimal das Velo schieben musste…

Wir haben sie gefunden, die Ruhr.
Ein Restaurant verspricht, Euro 2016, alle Spiele, alle Tore und ich frage mich, wie kann man alle Spiele, aber nicht alle Tore zeigen?

Die Ruhr wird mit jedem Kilometer etwas breiter.
Wir fahren der Talflanke entlang, irgendwo ist die Ruhr, Felder mit kleinen Tannen umgeben uns. Bei einer kleinen Kapelle machen wir eine kurze Pause. Sie ist dem heiligen Josef gewidmet. Wir zünden Kerzen an, ich denke an Grossmueti.

In Meschede steht ein Automat mit Fahrradschläuchen.
Meschede, wir rollen den Zuggleisen entlang ein. Vor einem Haus knien ein paar kleine Jungs und stecken die Köpfe zusammen. Für wen sind Sie heute Abend, ruft uns einer hinterher. Es vergeht ein Moment, bis ich begreife. Deutschland, rufe ich und hoffe, dass die Antwort richtig ist. Wir übernachten im Hotel von Korff. Der Herr führt uns hintenrum, die Velos können wir in die Garage stellen. Ein moderner, erst kürzlich renovierter Bau. Leider hat er abends eine geschlossene Gesellschaft, wir müssen uns anderswo verpflegen.
Zum Glück, wenn man der Bedienung im Jagdgasthaus Dickel glaubt, die das Essen bei von Korff zu teuer und irgendwie zu viel findet, sie wedelt mit der Hand, die den Kugelschreiber hält, in der Luft, ich wüsste gar nicht, was bestellen. Dann kassiert sie unsere zwei Schnitzel mit Pommes Frites und Kroketten und die alkoholfreien Biere. Als wir gehen, starren die Gäste an einer Wand mit Gamsschädeln vorbei auf den Fussballmatch.
Das Hotel von Korff mag teuer sein, das Frühstück ist es wert. Wir kriegen Spiegeleier und ich freue mich über Tomaten-Mozzarella-Salat (mit wirklich gutem Mozzarella), Lachs und eine frisch aufgeschnittene, aromatische Ananas. Anschliessend beladen wir die Velos und suchen die Neuapostolische Kirche. Ich habe mich bereit erklärt, wieder einmal am Gottesdienst teilzunehmen. Wir kommen knapp, da wir uns auf Google Maps verlassen haben: Immer wieder stehen wir vor Treppen.
Als wir nach dem Gottesdienst bei unseren Rädern die Velogwändli anziehen, kommt eine Frau und erzählt uns, sie sei mal mit dem Tretroller (sicherheitshalber frage ich nach: es ist ein Trottinett) dem Rhein entlang gefahren – teilweise Etappen von 80 Kilometern! Ich bin beeindruckt, aber auch etwas ungläubig. Wie hält man diese einseitige Belastung aus?
Das Tal weitet sich, auf den Feldern mit den Baumschulen nimmt die Diversität zu, grüne Laubbäume, Blutbuchen, Rosenstöcke. Dann und wann überqueren wir die Ruhr, sie ist ein paar Meter breit, grün, fliesst langsam.

Das Tal weitet sich, die Ruhr fliesst ruhig und grün dahin.
Die Auenlandschaft ist voller Neophyten, vor allem der japanische Staudenknöterich dominiert. Ich wechsle zwischen den beiden „Blicken“ hin und her: Der ungeschulte Blick der meisten Leute zeigt mir eine grüne Landschaft mit üppigen Uferbewächsen, Büschen und Bäumen. Der fachliche Blick jedoch erkennt, dass es kaum einheimische Flora gibt, und dass sich insbesondere der Japanknöterich massiv ausbreitet und jeweils über mehrere Meter oder sogar Dutzende von Metern den Radweg dominiert. Dazwischen blitzt gelb das Jakobskreuzkraut auf.
Etwas Nasses trifft mich am Arm und bald platschen die Tropfen nur so auf den Weg. Wir rasen durch die Felder, über eine Brücke und sitzen den Regen im Wald aus. Es dauert nicht lange und wir können wieder fahren.

Den Platzregen sitzen wir im Wald aus.
Der Campingplatz, den wir uns für diese Nacht zurechtgelegt haben, liegt einige Kilometer abseits der Ruhr. Wir haben vorgängig festgestellt, dass man mit der Karte ganz gut hinkommt. Als wir uns auf dem Trottoir beratschlagen und uns bei den vorübergehenden Fussgängern entschuldigen, weil wir im Wege stehen, fühlen sich diese bemüssigt, uns zu helfen. Sie erklären uns den Weg, wir finden ihn natürlich nicht auf Anhieb. Schliesslich führt uns Google Maps. Zwar kommt man damit – in meiner Erfahrung – immer zum Ziel, aber oft sind die Wege abenteuerlich. Auch hier: Zuerst ein unbefestigter Waldweg, schliesslich ein sumpfiger Wanderweg, danach ein schlammiger Feldweg. Aber wir nähern uns kontinuierlich dem Camping und fahren schliesslich müde, aber zufrieden ein.

Meiner Erfahrung nach kommt man mit Google Maps meist ans Ziel, bisweilen ist der Weg aber recht abenteuerlich.
Eine fröhliche ältere Frau öffnet uns die Tür, nimmt unsere Personalien auf und fragt, ob wir für das Abendessen oder das Frühstück noch etwas brauchen. Wir verneinen dankend, fragen aber dann nach einem kühlen alkoholfreien Bier.
Der Platz ist ruhig, offenbar viele Dauercamper und Monteure, es sind kaum Leute zu sehen. Als wir unser Zelt aufstellen, taucht die Frau plötzlich wieder auf. Auf halbem Weg sagt sie, ach nein, Sie trinken ja keinen Alkohol und will kehrt machen. Ich widerspreche und erkläre, dass wir nur auf Tour keinen Alkohol trinken würden oder nur vor Ruhetagen. Sie zieht eine Flasche unter dem Pullover hervor und sagt, haben Sie einen Becher. Ich öffne die Küchensaccoche und ziehe einen Thermosbecher hervor. Quittenlikör mit Whisky vermischt, flüstert sie und zeigt auf einen mageren Quittenbaum hinter unserem Zelt. Das „Probiererli“ füllt einen Drittel des Bechers und schmeckt lecker.
Ich denke an die Trail Angels, wie sie in Amerika genannt werden, jene Menschen, die den Wanderern und Wanderinnen wie Engel vorkommen, weil sie zu unerwarteten Zeitpunkten unerwarteten Luxus oder eine kleine Freude bieten: eine kühle Dose Cola, ein Abendessen, eine Übernachtung.
Schliesslich sitzen wir neben dem aufgestellten Zelt in der Abendsonne und trinken das Bier, das uns die Frau zum Einkaufspreis überlassen hat.

Zelt aufstellen und erstmal das Apero geniessen.
Am nächsten Morgen fahren wir durch reife Gerste, Wolken ballen sich an einem blauen Himmel, leichter Wind geht. Es ist warm. Ob jetzt der Sommer kommt?

Ob jetzt der Sommer kommt?
Wir fahren nicht immer der Ruhr entlang. Manchmal queren wir sie, dann verschwindet sie wieder in einem Meer aus Büschen und Sträuchern. Und plötzlich ist sie wieder da. Das heisst, sie ist immer schon da, wenn wir kommen, wie der Igel, der das Wettrennen gegen den Hasen mit einer List gewinnt. Wir sind es, die zu ihr kommen und von ihr weg gehen, ganz wie uns der Weg leitet.

Das Schild markiert die Mitte des Ruhrtalradweges.
Ein Schild teilt uns mit, dass wir die Hälfte des Ruhrtalradweges geschafft haben. Wir mühen uns mit dem Fotoapparat ab, als eine Frau neben uns vom Velo steigt und vorschlägt, ihr Mann könne doch von uns ein Bild machen. Auf den müssen wir aber warten, weil er mehrere Dutzend Meter hinter seiner Frau herschleicht. Er macht auch ein paar Bilder. Wie oft, wenn man Fremden den Fotoapparat in die Hand drückt, ist nicht alles drauf, was man haben möchte. In dem Fall wir beide, die beiden Velos und das Schild.
Die Frau fragt uns dann noch aus, wo wir herkämen, wo wir hinwollen und sagt uns, was wir uns unbedingt anschauen müssten. Ich lächle freundlich und wiederhole die Ortschaften, denke aber innerlich an die Unmenge von Empfehlungen, die mir die Leute unterwegs schon gegeben haben. Der Grieche ist wirklich gut, sagt die Frau gerade und ihr Mann nickt anerkennend, wir gehen schon vierzig Jahre dahin. Ich habe die Ortschaft verpasst; klingt gut, sage ich.
Koppeln mit Holstein-Kühen und Stuten-Fohlen-Gespannen, lange, gerade Wege, flaches Land. Grüne Weiden, Haselsträucher entlang der Strasse. Graureiher.

Ein netter Weg zwischen Feldern und Weiden mit Holstein-Kühen und Stuten-Fohlen-Gespannen.
Irgendwann nach Schwerte stossen wir auf einen gesperrten Radweg. Auf einem Schild daneben ist die Umleitung eingezeichnet. Ein Mann stösst zu uns.
Mann: Wo wollen Sie denn hin?
Ich: Der Ruhr entlang weiter. Wir schauen uns gerade die Umleitung an.
Mann: Ja, aber wo wollen Sie hin?
Ich greife mir wahllos eine Ortschaft heraus, die noch kommt.
Mann: Aha, da geht es hier und hier durch…
Wir fahren trotzdem nach der Umleitung. Sie endet in Hagen, der Ortschaft mit der Fernuniversität. Hier geht es wieder auf den normalen Radweg. Er führt uns durch überpersonenhohe Japanknöterich-Büsche. Ich richte meine Augen nach vorne auf den Weg und fahre zu.

Neophyten Neophyten.
In Herdecke kaufen wir ein. Parkieren unsere Velos vor dem Edeka und schnappen uns einen Einkaufswagen. Wie immer suchen wir lange nach Gemüse, das aus Deutschland kommt. War der Frühling hier so schlecht, dass sie wirklich kaum Tomaten, keine Auberginen, keine Zucchetti, keine Zwiebeln, kaum Salat und kaum Gurken haben? Ich kann es fast nicht glauben. Um eine Pfandflasche zu retournieren, laufe ich fast 500 Meter und erhalte eine Gutschrift über 25 Cent. Aus fachlicher Sicht bin ich ja froh, dass es in Deutschland ein Pfand auf Flaschen gibt. Sie landen so viel weniger im Grünstreifen entlang der Strasse und auf Wiesen. Aber als Kundin kann ich auf die 25 Cent auch verzichten. Oft schmeisse ich die Flasche in den Müll, damit sie jemand findet, der auf das Pfand angewiesen ist.

Einkaufen leicht gemacht.
In Wetter ist das Wetter schlecht, wir ziehen wieder mal die Jacke über. Ein paar Kanadagänse grasen mit ihren Jungen am Wegrand. Eine Gans steht mit hocherhobenem Kopf und langgestrecktem Hals mitten auf dem Weg. Eine Gruppe Kinder in Kanus wirft Bälle hin und her. Ihnen macht der Regen nichts aus, sagt Stefanie, sie sind eh im Wasser.
Im Heu, das auf den Feldern trocknet (und gerade wieder befeuchtet wird), leuchten rot die Samenstände der Blacken. Entlang der Ruhr ist oft Gewässerschutzgebiet, vermutlich darf hier nur extensiv gewirtschaftet werden. Das spät gemähte Gras ist überständig und verholzt.
Durch die glatte Oberfläche der Ruhr schneidet ein Damen-Vierer. Alle vier haben weisse Haare. Ein Rennvelofahrer überholt uns, die Haare an seinen Beinen leuchten bei jedem Tritt in der Abendsonne auf wie ein Halo.
Und dann ist der Veloweg zu Ende, respektive, führt geradewegs in die Ruhr. Da vor uns einige Jugendliche auf Fahrrädern warten, verstehen wir: eine Fähre. Auf Spendenbasis bringt sie uns auf die andere Seite. Eine Frau macht unsere Hoffnungen auf einen baldigen Campingplatz zunichte. Sie weiss nur von einem, der „garantiert“ sei. Und dahin sind es noch etliche Kilometer.
Also weiterradeln. Bald kommen wir zum Kemnader See, hier habe ich meine Wanderung entlang der Ruhr im Februar beendet. Dass ich das Gelände ab jetzt kenne, macht es nicht einfacher. Ich weiss, wie lange die Strecke ist und mir fällt auf einmal auch ein, welchen Camping die Frau gemeint hat.
Der Kemnader See ist als Sportgebiet aufgebaut, für Velos, Inline Skating und FussgängerInnen gibt es separate Spuren. Etliche Jogger und Spaziergängerinnen sind unterwegs. Die Abendsonne taucht alles in weiches, goldenes Licht.

Schafe auf dem Weg. Erinnerungen an Neuseeland.
In der Nähe von Hattingen, als ich auf der anderen Ruhrseite in einem Gasthof übernachtete und dafür über eine hässliche, stark befahrene Brücke musste (allerdings mit eigener Fussgänger/Radlerinnen-Spur und daher nur hässlich, aber nicht gefährlich), gibt ein Reitlehrer Unterricht. Seine Befehle hallen über den Sandplatz.
Es dauert nicht mehr lange, sage ich, da bei Stefanie die Satteleinstellungen nicht ganz stimmen und sie sich schon seit Kilometern mit Schmerzen herumschlägt. Bald schon kann ich „gleich da vorne um die Ecke“ sagen. Ein Fischer in gebückter Haltung schneidet sich mit einer Sichel den Weg durch die Neophyten ans Ufer frei.
Der Camping liegt an der Ruhr, wir können direkt am Wasser zelten. Es ist ein herrlicher Abend, das Licht und die stillgelegte Mühle (jetzt ein Hotel) auf der anderen Seite der Ruhr spiegeln sich im Wasser. Ein Graureiher am Eingang zur Bootsdurchfahrt durch die Stufen beäugt uns misstrauisch, als wir uns mit einem Bier und Nüsschen ans Wasser setzen und die Beine ins kühle Nass hängen lassen.

Room with a view. Camping in Hattingen.
Beim Essen dunkelt es langsam ein. Ein Tier zieht durch das Wasser, zuerst sehen wir nur das Kielwasser. Es kann keine Ente sein, stellen wir fest, es schwimmt unter Wasser, nur die Nase und die Augen sind an der Luft. Eine Bisamratte?
Der nächste Tag begrüsst uns so windig, dass ich mit den Teebeuteln kämpfe.
Über die Brücke fahren wir nach Hattingen, scheinbar der schönsten Altstadt in Nordrhein-Westfalen, um für Stefanie eine neue Velohose zu kaufen. Wir finden den Laden auch sofort, tätigen das Geschäft und stossen die Räder durch die Altstadt. Herzige enge Gässchen, viel Fachwerk und eine schöne Kirche. Diese schauen wir uns nach einem Kaffee an. Sie ist dem Heiligen Georg gewidmet, der auf etlichen Darstellungen tapfer gegen den Drachen ankämpft. Die Kirche hat eine schöne Kassettendecke, die mit Sternen verziert ist.

Hattingen.
Am anderen Ufer wurden Buhnen gebaut, das sind laut Internet rechtwinklig zum Ufer stehende Einbauten, die das Wasser dazwischen beruhigen, im Rest der Flusses aber die Geschwindigkeit erhöhen sollen, wodurch die Wassertiefe zunimmt. Die Bevölkerung, respektive Wassersportler und Naturschützer hatten sich gegen diese Renaturierung gewehrt.

Ruhr mit Buhnen flussabwärts von Hattingen.
Unglaublich, wie der Schmerz zermürbt, sagt Stefanie und wir halten an. Die neue Hose sei gut, aber etwas stimme trotzdem nicht. Sie stellt den Sattel tiefer und es wird vorübergehend besser. Jetzt schmerzt die Achillessehne, wohl weil der Sattel zu lange zu hoch gewesen war. So ist das, wenn man dem Mechaniker eher vertraut als dem eigenen unguten Gefühl.
Essen in Essen. Die Currywurst ist mässig, die Pommes lahm, dafür schmeckt die Waffel mit frischem Kirschenkompott. Regen kommt auf und wir flüchten von der Terrasse ins Innere des Restaurants. Der Regen ist eigenartig hier, fühlt sich irgendwie körnig an, man spürt die einzelnen Tropfen, wird recht schnell nass und trotzdem ist es eigentlich nur ein Nieseln.

Ob der vielen Natur geht manchmal vergessen, was das Ruhrtal einst war. Ein riesiges Industriegebiet.
Da die Schmerzen bei Stefanie zunehmen, quartieren wir uns auf dem Camping Löwenthal in Essen-Werden ein. Den Abend verbringen wir mit Wäsche waschen. Danach sitzen wir vor der geschlossenen Kneipe und kochen das Abendessen. Zwei Leute kommen zum Plaudern vorbei. Ein Mann, der mit seiner Frau im Campervan durch Deutschland fährt und auf der Heimreise ist. Er kommt aus der Gegend, in der die Velotraum-Velos hergestellt werden, daher ist ihm Stefanies Rad aufgefallen. Danach noch eine etwas nervöse Österreicherin, die uns fragt, was wir alles dabeihaben, weil sie auch mal „so etwas“ machen möchte.
Wir zelten auf einem leicht abschüssigen, erdigen Grasstück unter den Bäumen, neben drei Jungs, die in drei Zelten nächtigen, Bier trinken und Musik hören. Als wir morgens um vier aufs Klo gehen, sind sie noch immer wach, mittlerweile zwar in den Zelten, und reden miteinander.
Das Frühstück wird knapp gehalten, es gibt nur eine Portion Müesli für den ärgsten Hunger, dann fahren wir die sieben Kilometer nach Kettwig. Im Cafe am Markt gibt es Kaffee und was zu essen. In der Kirche gegenüber findet ein Trauergottesdienst statt, die zwei befrackten Bestatter warten beim Combi mit getönten Scheiben und rauchen.

Mittlerweile ist die Ruhr ein richtig breiter Fluss.
Es ist nicht fair, sagt Stefanie und meint die Schmerzen. Zuerst mit dem Sattel, jetzt die Achillessehne, sie kann kaum noch fahren; gehen auch nur kurze Strecken. Ich fühle mich daneben hilflos, mir tut nichts weh, ich mag noch lange fahren. Aber die Erinnerung an das Debakel mit dem alten Sattel steckt auch mir noch in den Knochen. Insofern kann ich mitfühlen.
Es wird zunehmend urbaner, Mülheim queren wir durch einen Stadtpark und entlang einer grösseren Strasse, bevor es wirklich an die letzten Kilometer geht. Noch einmal ein breites Tal, viel grün, Menschen und Hund spazieren im Gras, wir fahren auf einem Damm, dann teilt sich die Ruhr in verschiedene Arme auf, Lastschiffe ziehen an uns vorbei, die Hafen-Atmosphäre verstärkt sich, Hebekräne und eine Schleuse sind zu sehen. Entlang von Sicherheitszäunen mit Stacheldraht fahren wir auf einem Kiesweg, bis zum Schluss wurde an die Radler und Radlerinnen gedacht.

Bald sind wir an der Mündung in den Rhein.

Die Ruhr teilt sich in verschiedene Arme auf.
Auf den letzten 1800 Metern hängen grossformatige Drucke auf Tüchern an einem Zaun, hinter dem Schutt und Müll gelagert wird. Die Drucke lassen die ganzen 220 Kilometer Revue passieren, die Ortschaften, die Schleusen, das Kraftwerk, die Fähre.
Und dann, die Mündung. Die breite Ruhr fliesst in den noch breiteren Rhein, eine hohe rechteckige Plastik in der Farbe „Rheinorange“ kennzeichnet die Mündung. Darum herum grasen Schafe und so können wir nicht mit eigenen Augen nahe sehen, wie sich die Wasser vereinigen. Ein Schaf frisst mit gequältem Gesichtsausdruck eine trockene Distel. Auf den Schafen sitzen Vögel wie auf Nashörnern. Die Rheinorange scheint ein Treffpunkt für Radler zu sein oder ein Ort, an dem man am Feierabend kurz rausfährt. Doch langsam verschwinden die Leute und wir bleiben zurück.

Rheinorange an der Ruhrmündung in den Rhein bei Duisburg.

Die Veloreise ist hiermit beendet.
Statistik folgt noch.