Wir haben weiss Gott gelernt, Abschied zu nehmen in diesem Jahr; Abschied von neuen Orten und neuen Bekanntschaften, mit denen die Gespräche bisweilen innert Minuten an Tiefe gewannen, von Plänen, Entscheidungen und Erwartungen. Wir kamen irgendwo an, lebten uns ein, fühlten uns zwei, drei Tage wohl, packten schliesslich unsere Taschen und fuhren weiter. Immer und immer wieder.
Als wir die Tür zu dem kleinen Haus auf dem Beatenberg zuziehen und abschliessen, ist es ein anderer Abschied. Es ist ein endgültiger Abschied von unserer Reise; in wenigen Stunden werden wir nicht mehr auf Reisen sein. Vorbei ist die fahrende Lebensweise, mit der Freiheit hierzubleiben oder weiterzugehen, eine Freiheit, die wir erst finden mussten und von der wir immer öfter bewusst Gebrauch gemacht hatten. Es war unser Jahr, unsere Zeit, unser Geld, es waren unsere Entscheidungen.
Zurück in einer sesshaften Lebensweise, mit weniger Zeit, über die wir frei entscheiden können, fragen wir uns, was bleibt.
Uns bleibt die Erfahrung, Mut und Vertrauen zu haben. Den Mut, etwas zu tun, Job und Wohnung ohne Nachfolge zu kündigen, hinauszuziehen in die Welt mit einem beschränkten Budget und all unseren Sachen in den Saccochen und das Vertrauen, dass es gut kommt. Nicht notwendigerweise, wie wir es uns vorgestellt hatten, aber dass es so, wie es kommt, gut ist. Dass wir Herausforderungen bewältigen, Probleme lösen und schwierige Entscheidungen treffen können. Dass wir grundsätzlich sicher bleiben, verschont von tätlichen Übergriffen und ähnlichen Traumata. Dass wir kein Pech haben werden.
Zurück in einer Schweiz während der Covid-19-Krise half uns diese Erfahrung. Unvorhergesehenes bringt uns weniger aus dem Takt; wir haben viel neu entschieden, uns neu eingerichtet, neu herausgefunden, was wichtig ist. Wir haben viel Liebgewonnenes zurückgelassen, losgelassen. Nicht dass es uns jetzt leicht fällt, nein, aber wir wissen, dass wir es können.
Covid-19 ist ein Test für alle: Wie zufrieden sind wir mit unserem Leben? Ich glaube, je zufriedener wir mit unserem Leben sind, desto leichter fällt es uns, gewisse Einschränkungen hinzunehmen. Wir sind auf jeden Fall sehr dankbar, dass wir unsere Reise nahezu vollständig umsetzen konnten, dass nur die letzten vier bis sechs Wochen durch den neuen Virus tangiert wurden.
Was uns in den ersten Wochen in der Schweiz schwer fiel: dass wir FreundInnen und Familie lange weiterhin nur über den Bildschirm treffen konnten. Das war während der Reise notwendig und nur so möglich; gleichzeitig haben wir erlebt, wo die Grenzen liegen. Dass auch lange Skype-Gespräche nicht das Gegenübersitzen an einem Küchentisch, das Nebeneinanderhergehen bei einem Spaziergang, geschweige denn das Spielen, Vorlesen oder Kochen mit einem Kind ersetzen können.
Auch die Erlebnisse bleiben. Die Begegnungen mit Menschen und Tieren, die Grenzüberschreitungen im geografischen und persönlichen Sinne, die neuen Geschmäcker und Gerüche, die verschiedenen Sprachen, die Landschaften, der schöne Teer und die bisweilen sehr holperigen und mühseligen Strassenbeläge, die drei Meere, die Wälder, die unzähligen Campingplätze und kleinen Hotels, die Airbnbs und natürlich die Warmshowers. Alle die Velofahrerinnen und Velofahrer, die uns überwältigendes Vertrauen entgegenbrachten. Es bleiben die beiden grossen Pausen. Die drei Wochen in Deutschland mit dem Zen-Kurs und dem Aufenthalt in einem Kloster für Katharina, die Tage im Biohotel und der Besuch bei ihren Eltern für Stefanie – der im Rückblick noch wichtiger wird, weil Stefanie ihre Eltern jetzt im Mai nicht besuchen konnte wie angedacht. Die sechs Wochen in der Velle Basse (FR) bescherten uns unzählige gelesene Bücher, viel Holzen und Feuern und eine sechstägige Rundreise mit einem kleinen Auto.
Anfang dieses Jahres haben wir begonnen, uns auf Daheim zu freuen. Uns einzurichten, die Menschen zu sehen, die eigene Küchenausrüstung, nicht mehr ständig improvisieren müssen, das eigene Bett. Jeden Tag wissen, wo wir schlafen, wo wir einkaufen und zu wissen, was es dort gibt, wo wir einkaufen. Endlich Berner Hahnenwasser.
Wir wussten, dass sich an unsere Rückkehr eine Zeit der Eingewöhnung anschliessen würde, dass es dauern würde, bis wir eine Wohnung und ich einen Job finden würden. Stefanie hatte bereits im Februar eine Zusage für Juni. Die aktuelle Situation ist härter als gedacht. Zurückzukommen in ein fremdes Land, die Freundschaften und Familienbeziehungen nicht wie erwartet aufnehmen zu können, hat uns überrumpelt. Ganz zu schweigen von den raschen Entwicklungen in unserer letzten Woche unterwegs. Im Moment tasten wir uns voran, Schritt für Schritt, schauen was geht.
In den allerletzten Velotag unserer Reise starten wir bei dickem Nebel, Sicht ungefähr sieben Meter. Wir rollen auf einer engen Strasse von Beatenberg ins Justistal hinein. Zwei Tunnels, zappenduster drinnen, wir orientieren uns an den Leuchtmarkierungen, die im Licht unserer Lampen reflektieren. Wir fahren langsam, das Ende des Tunnels ist nur als hellere Schattierung von Schwarz erkennbar. Aus dem Schwarz rollen wir hinaus in den Nebel. Aus dem Justistal heraus nach Sigriswil lichtet sich die Suppe, bis in Gunten schliesslich blauer Himmel erkennbar ist.
In Münsingen warten Esther und Hans auf uns und dürfen uns nicht in den Arm nehmen. Dafür kocht schon das Wasser für Tee. Wir rollen der Aare entlang und durch das Köniztal nach Köniz, am Zentrum vorbei und biegen in die Strasse ein, in der meine Eltern wohnen. Wir kommen von Süden her und sind vor gut einem Jahr hier nach Norden losgefahren. Ich stelle mir die ganze Kette vor, grosse Perlen mit den Stationen Köniz – Berlin – Tallinn – Stockholm – Malmö – Frankfurt – Reims – Nantes – Biarritz – Montauban – Toulouse – Béziers – Montpellier – Genf – Beatenberg – Köniz, dazwischen unzählige kleine Perlen, farbige und graue für alle Erlebnisse dazwischen. Es gibt keine Bezeichnung für den Zustand, in dem wir uns befinden. Wir müssen uns re-integrieren, anpassen, auf die Situation einstellen. Und wir müssen das Gefühl verwinden, dass wir uns um etwas beraubt fühlen: Heimkommen und alle in den Arm nehmen.
Gut ist, dass das Reisejahr jetzt wirklich zu Ende ist. In den letzten Monaten war es ruhig, ist zwischendurch kurz aufgeflackert, um durch Covid-19 gleich wieder schlafen gelegt zu werden. Nun ist es vorbei und wir können uns dem nächsten Abenteuer widmen: ein Leben mit festem Wohnsitz und Arbeit. Das hatten wir schon länger nicht mehr.
Wir bewundern euren Abenteuergeist, euren Mut und euer Durchhalten. Nun Hoffen wir, dass euch der Start in ein mehr oder weniger normales Leben gelingt. Wir halten alle Daumen.
Herzlichst Barbara und co
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Merci! Wir stellen fest: Auch für das „Danach“ braucht es Abenteuergeist, Mut und Durchhalten… Alles Gute, herzlicher Gruss, Stefanie und Katharina
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