Endlich wieder unterwegs! Auf unseren Gesichtern hat sich ein Dauergrinsen festgehakt, als Elfriede und Jürgen uns hinterherwinken und wir zum Flüsschen Nidda rollen, dem wir bis zur Mainmündung folgen. Das Wetter ist grau und kühl, nach wenigen hundert Metern müssen wir die optimistischerweise angezogenen Sommer-Radhandschuhe gegen die dicken Winterhandschuhe eintauschen.
Wir hätten bereits einige Tage früher abfahren wollen, dann wurde Stefanie von einer Erkältung ins Bett gesteckt. Während sie hustete, heissen Tee trank und schlief, tigerte ich im Haus herum, bastelte an der Ausrüstung und gab vor, mich mit dem kommenden Teil der Reise zu beschäftigen. Aber hauptsächlich wollte ich raus, den Fahrtwind spüren, vorwärts kommen!
Einen guten Monat Pause hatten wir uns gegönnt, Ferien mit Stefanies Eltern im Rheingau, einige Tage bei Elfriede und Jürgen in der Nähe von Frankfurt, bei denen wir auch die Velos und den Grossteil des Gepäcks unterstellen konnten. Schliesslich fuhr Stefanie zum Wellnessen und besuchte ihre Eltern im Schwarzwald, ich ging zu einem Zen-Kurs und verbrachte eine Woche als Einzelgast im Kloster Triefenstein. Mehr als sechs Monate praktisch 24 Stunden am Tag zusammen zu sein ist eine Herausforderung, die wir gern angenommen haben. Gleichzeitig hatte sich mit der Zeit gezeigt, dass auch das Bedürfnis nach allein sein gestillt werden will.
Wieder gemeinsam zurück bei Elfriede und Jürgen planten wir die Fahrt nach Frankreich, besorgten einige letzte Ausrüstungsgegenstände für den Winter und genossen noch einmal die Gastfreundschaft.
Sechs Tage sind es bis nach Metz in Frankreich. Der erste Tag ist hart. Unsere Körper hatten sich an den Ruhemodus mit viel Lesen und gemächlichem Spazieren gewöhnt und beschwerten sich über die Veränderung. Darüber hinaus hatten wir viel Zeit indoor verbracht und hatten damit den Abstieg der Temperaturen nicht mitbekommen.
Drei Nächte verbringen wir in Deutschland noch im Zelt – denn entgegen der allgemeinen Vermutung gibt es durchaus Plätze, die noch geöffnet sind und es teilweise ganzjährig bleiben. Allerdings müssen wir gut planen und in der Regel sicherheitshalber kurz anrufen. Einmal kochen wir draussen, an einem Gartentisch unter einem Stoffpavillon, zweimal haben wir Glück und finden einen Platz im Warmen zum Kochen und Essen.
Der Camping am Zusammenfluss von Alsenz und Nahe ist eigentlich schon geschlossen. Die beiden Platzwarte Christoph und Christoph sind allerdings noch vor Ort mit Instandhaltungsarbeiten beschäftigt. Sie haben den Platz vor einem Jahr gekauft – als Altersvorsorge. Ihr Plan: Zehn bis fünfzehn Jahre investieren, dann Leute einstellen zum Rasen mähen usw. und gemütlich die Gäste begrüssen. Sie essen gleichzeitig Znacht wie wir und unterhalten uns mit Einblicken in das Leben eines Campingplatzbesitzers.
Das Wetter ist meistens grau, manchmal kalt und mit häufigem Regen, manchmal aber gibt es auch Sonne und blauen Himmel. Wir tragen einige Schichten, denn zwar schwitzen wir am Körperstamm, frieren jedoch an den Extremitäten. Wir können auf unsere Erfahrungen vom Frühling zurückgreifen – was wir dort an Kleidung trugen, hat sich bewährt. Zusätzlich sind noch wasserdichte Socken und ein „Nieren-Schlauch“ dazu gekommen. Beide Teile müssen sich allerdings erst noch bewähren.
Der Nahetal-Radweg verläuft entweder auf relativ ruhigen Strassen oder auf separaten Radwegen. Die Nahe-Weine seien neulich öfters in den Medien gewesen, hat uns der eine Camping-Christoph erzählt, deshalb nehme hier der Tourismus zu. Offenbar wird die Nahe die neue Mosel. Wo immer möglich, stehen an den Hängen Reben, nur unterbrochen von allzu felsigen und buschigen Stellen. Dazwischen gibt es hoch aufragende Steilwände aus rötlichem Fels.
Der Tag mit den meisten Höhenmetern bringt auch das schlechteste Wetter. Es beginnt zu regnen, als wir aus dem Hof des Hotels fahren, in dem wir die Nacht verbracht haben. Wenn wir uns nicht bewegen, wird uns sofort kalt. Immer wieder ist der Radweg von nassen Blättern bedeckt, wir fahren entweder langsam oder schieben teilweise auch, wenn das Gefälle zu hoch ist. Erinnere mich das nächste Mal daran, dass Flussradwege beileibe nicht immer eben sind, sagt Stefanie. Dabei wissen wir das eigentlich seit der Tour an der Ruhr (2016). An einem weiteren Aufstieg treffen wir auf zwei Spaziergänger. Der eine erzählt, im nächsten Dorf gebe es ein Cafe, gleich bei der Schule. Wir freuen uns, denn bislang hatte es keine Möglichkeit gegeben, irgendwo unterzustehen und nur schon das Picknick zu essen. Im nächsten Dorf finden wir kein Cafe. Stefanie fragt einen Arbeiter, der aber nicht hier wohnt und von nichts weiss. Auch ein älteres Paar in einem Auto, das zurückhaltend die Scheibe herunterdreht, als ich ihnen winke, weiss auch nichts. Es ist kalt, es ist nass, die Jacken lassen zwar das Wasser nicht durch, fühlen sich aber kühl an. Schliesslich hilft uns ein Bauer weiter, der umständlich aus seinem Traktor klettert: Im nächsten Dorf gebe es tatsächlich ein Cafe.
Auf drei langen bangen Kilometern tobt in uns der Kampf zwischen Hoffnung (ein Cafe!) und Realismus (Es könnte geschlossen sein!).
Doch es hat auf: Zwar ist es nur ein Stehcafe, aber die Verkäuferin freut sich über den Besuch, wir drapieren unsere klammen Sachen und wärmen die Finger an einer Tasse Milchkaffee. Schliesslich dürfen wir sogar auf ihr privates Klo.
Auch der Campingplatz am Bostalsee hat eigentlich schon geschlossen, jedenfalls werden die Rasenflächen nicht mehr gemäht, erklärt mir die Frau am Telefon. Sie findet jedoch ein Plätzchen für uns und das Sanitärgebäude hat auch noch auf – schliesslich sind noch immer Dauercamper auf dem Platz.
Die Anlage wirkt komplett verlassen, als wir unsere Velos in der Dämmerung neben der Barriere durchschieben und unser Zelt neben einer Boccia-Anlage aufstellen. Die Temperatur fällt schnell, sobald die Sonne weg ist. Mit klammen Fingern drücken wir die Häringe in den Boden, stellen unsere Saccochen ins Zelt und suchen die Sachen zum Duschen. Das Sanitärgebäude ist rund 300m entfernt, wir gehen durch dunkle Strassen, links und rechts stehen leere Wohnmobile und kleine Hütten.
Im Innern des Sanitätsgebäude ist es gefühlt 25 Grad warm, wir fühlen uns wie damals, als wir Anfang November in Thailand aus dem Flughafengebäude getreten sind. Als wir später vor dem Gebäude kochen und drinnen im Gang essen, tauchen drei Personen auf. Ein Mann schaut mir beim Kochen zu, während er auf seine Frau wartet. Es sei etwas kalt beim Zelt, sage ich. Ihm entfährt ein keuchendes kurzes Lachen: Wie kommt man auf die Idee, bei dem Wetter zu zelten?