Es ist bald beschlossene Sache: Wir werden vorläufig nicht zelten. Der Aufwand, Zeltplätze zu finden, ist gross, die Distanzen dazwischen sind meist nicht in einem Tag zu überbrücken und unser Material ist den Temperaturen nicht so gewachsen, dass es auf Dauer Spass macht. Nur ist unser Budget aber nicht für Hotelnächte ausgelegt. Wir wenden uns also dem Warmshower-Netzwerk zu.
Warmshowers ist ein Netzwerk von VelofahrerInnen für VelofahrerInnen. Im Minimum werden eine heisse Dusche (warm shower) und ein Schlafplatz angeboten. Das kann ein eigenes Zimmer sein, aber auch ein Platz auf der Couch, im Wohnzimmer (mit Mätteli und Schlafsack) oder im Garten zum Zelten. Manchmal gibt es Abendessen oder man kann die Küche benutzen. Manche Warmshower bieten auch andere Dienstleistungen an, dass man Pakete an ihre Adresse schicken kann oder dass man Velos und/oder Gepäck für eine gewisse Zeit einstellen kann. Das sind alles Dinge, die für Langzeit-VelofahrerInnen sehr wichtig sein können.
Ich bin seit Neuseeland Mitglied, leider hat es bislang nie geklappt. Entweder haben die Leute nicht oder erst viel zu spät zurückgeschrieben. Hier in Frankreich haben wir aber gleich beim ersten Versuch Glück. Kein Problem, schreibt Raphaël, wir könnten sogar ein eigenes Zimmer haben, er komme zwar erst um 19 Uhr heim, aber Estelle werde da sein.
Während wir uns durch die Hügelzüge der Champagne kämpfen, merke ich, dass ich wenig an die bevorstehende erste Begegnung mit einem Warmshower denke. Ich habe offenbar ein sehr gutes Gefühl.
Vom letzten Hügelzug tauchen wir ab in ein kleines Tal und finden das kleine Dorf mit trutzigen Steinhäusern und einer ebenso trutzigen Kirche. Nummer 25, hat Raphaël geschrieben, mit grünen Fensterläden. Ich klopfe vorsichtig ans Küchenfenster, weil dahinter eine Frau an der Abwäsche beschäftigt ist. Herzlich willkommen, sagt sie, sie heisse Estelle.
Wir laden die Velos ab, stellen sie zwischen Treppe und Bad, Estelle zeigt uns das Zimmer. Wir duschen und richten uns ein. Dann suche ich Estelle und frage, wie es hier so laufe mit den Warmshowers, ob es Abendessen gäbe oder ob wir uns selber was kochen. Nein nein, sagt sie, sie koche etwas für alle, ob Pommes Frites in Ordnung seien.
Raphaël kommt etwas später, ein schlanker, kleiner Mann, mit einem Instrumentenkasten in der Hand. Da er auch recht gut Englisch redet, wechseln wir die Sprache, damit Stefanie besser versteht. Er legt eine Platte auf und wir setzen uns ins Wohnzimmer, erzählen, wo wir durchfahren. Warmshowers hatte Raphaël bisher nur einmal beherbergt, wir stehen also auch einem Anfänger gegenüber. Allerdings ist er oft nicht zu Hause: Der Bassist lebt von der Musik, spielt in vier Bands und hat 60 Auftritte pro Jahr.
Übrigens sei er bald in Orléans, sagt er, als wir die Reise der nächsten zwei Wochen skizzieren. Es stellt sich heraus, dass er an unserem ersten Abend in Orléans 750m von unserer Unterkunft entfernt einen Gig haben wird: Wir werden mit Esther und Hans, die uns in Orléans besuchen, hingehen.
Bei diesem Warmshower gibt es nicht nur ein eigenes Zimmer und ein Znacht, sondern auch eine grosse Portion Vertrauen: Als er uns fragt, wann wir morgens losfahren, stellt sich heraus, dass die beiden noch vor uns aufbrechen werden. Kein Problem, sagt Raphaël, wir könnten losfahren, wenn wir wollten, wir sollen einfach die Tür hinter uns zuziehen.