Eine eisige Nacht

Die vierte Zeltnacht im November verbringen wir bereits in Frankreich. Bei 7°C haben wir die Grenze überquert. Als wir den Parc régional naturel de la Lorraine erreichen, regnet es wieder einmal. Es wird schnell kalt.

Auch dieser Camping hat bereits zu. Als ich jedoch eine SMS auf die auf der Internetseite angegebene Nummer schreibe, wir würden mit dem Velo durch Frankreich fahren, ob es möglich sei, bei ihnen zu zelten, kommt eine klare Antwort: Bien sûr! (Natürlich!)

Eine kleine Strasse führt durch den nassen Herbstwald, schliesslich bremsen wir vorsichtig eine lange Abfahrt hinunter und landen bei den Etangs du Longeau. Zwei Häuser, eine Bar, eine Jurte. Der Campingplatz befindet sich auf der anderen Seite des einen Sees, Regen und die beginnende Dämmerung trüben die Sicht. Wie wird diese Nacht werden?

Wir finden ein Sanitärgebäude mit geöffneten Duschen und Toiletten und beschliessen, direkt daneben unser Zelt aufzustellen. Der Regen hört immer mal wieder auf, beginnt wieder, irgendwo schreit ein Vogel. Wenn es nicht regnet, tropft Wasser von den Bäumen.

Er sei in einer Stunde wieder da, hat uns der Besitzer geschrieben, er müsse zuerst die Kinder von der Schule abholen. Ich prüfe im Duschraum, ob es heisses Wasser gibt. Heisses Wasser gibt es, aber der Raum ist teilweise offen, die Temperatur entspricht also derjenigen draussen.

Das warme Wasser erscheint mir am Anfang siedend heiss, wohl weil mein Körper recht kalt ist. Mit der Zeit wird es besser, dennoch fröstelt es mich durchwegs, das warme Wasser vermag nicht gegen die Umgebungstemperatur anzukommen. Aber uns ist nach der Dusche immerhin etwas warm.

Irgendwann taucht der Besitzer auf, die Autoscheinwerfer tasten sich langsam durch die Regennacht. Er mache uns die Bar auf, wir sollen doch nach vorne kommen.

Die Bar ist ein grosser Raum mit Schanktheke, allerlei farbigen Fläschli dahinter mit Hochprozentigem, langen Tischen mit Stühlen, einem Ofen, der eingefeuert wird und einer Menge „Deko“: alte Gerätschaften, Schreibmaschinen, eine Jukebox, Instrumente, Autoplaketten usw.

Wir kochen draussen und essen drinnen, der Besitzer räumt hinter der Bar auf – im Moment ist sie geschlossen wegen Saison-Instandsetzung. Plötzlich taucht er mit einer Kiste auf und sagt, er wolle uns etwas schenken. Ich bin neugierig, aber auch zurückhaltend: wer mit dem Velo unterwegs ist, will nicht plötzlich gut gemeinte, aber unpraktische, schwere Päckli erhalten. Als er die längliche, flache Kartonkiste aufgebrochen hat, erklärt er: Ein 24-Stunden-Notfallrationspaket der französischen Armee. Warum, frage ich, als ich es näher inspiziere. Weil wir Extrem-Camperinnen seien, sagt er.

Es gibt zwei Hauptmahlzeiten (Rindfleischsalat und Tortellini mit Fleisch, zwei Entrées (Thon und Suppe), ein Päckli Dreierlei Güetzi (mit Schokolade, salzig, süss), ein Päckli Konfitüre, eine Büchse Käse, Pulvergetränke (Kaffee, Tee, Schokolade, Isostar). Dazu eine Menge Müsliriegel, Schokolade und Nougat, ein Päckli Nastücher und ein Kit, um die Mahlzeiten und Getränke zu wärmen. Total 3600 Kalorien.

Als wir später die Bar mit ihrem Licht und ihrer Wärme verlassen und durch den dunklen Wald zu unserem Zelt zurückgehen, ist es sehr kalt. Die grossen Wassertropfen auf unserem Zelt sind gefroren. Zwar zeigt die Wetterapp zwei Grad für diese Gegend an, aber wir befinden uns in einer Kältesenke. In dieser Nacht frieren wir immer wieder, schlafen wieder ein, ziehen noch etwas an, schlafen wieder. Am Morgen haben wir ausserdem weniger Glück als am Abend: Als wir mit gepackten Velos zur Bar kommen, um dort unser Frühstück zu machen, ist noch niemand aufgestanden. Wir stampfen mit den Füssen, während wir Wasser und Milch wärmen. Als wir alles verpackt haben, sind unsere Füsse eiskalt und wir fürchten uns ein wenig vor dem heutigen Tag.

Aber zum Glück führt der erste Kilometer entlang des Bächleins Longeau über einen engen Waldweg. Wir schieben und nach dem Kilometer sind auch unsere Füsse wieder warm. Für uns ist aber klar, dass diese Nacht unser Material an die Grenze gebracht hat und wir uns überlegen müssen, wie geht es weiter?

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