Polen. Ein neues Land. Eine neue Sprache, neue Kultur. Am ersten Tag machen wir uns auf zum Meer, ins Dorf, noch etwas unsicher, etwas fehl am Platz, verletzlich, unverständlich und unverstanden, stets befürchtend, etwas falsch zu machen. Die wichtigsten polnischen Wörter haben wir nachgeschaut, herausgeschrieben und wenn es darauf ankommt, dann doch noch nicht parat: Guten Tag, danke, auf Wiedersehen. Wir lesen die Wörter, die an Häusern und Ladenfronten stehen und notieren uns, was vielleicht einmal wichtig sein könnte: wolne pokoje, Zimmer frei. Schau, ein Sklep, sage ich, denn darüber haben wir gehört. Zwar bedeutet Sklep in erster Linie „Geschäft“, aber gemeint sind meist kleine Läden, die es an jeder Ecke gibt, mit Nahrungsmitteln und den Gütern des täglichen Bedarfs, ein unterschiedliches Sortiment und häufig bedient. Und manchmal auch mit hausgemachtem Kuchen. Wir freuen uns auf diese kleinen Läden, weil sie ein „Museum of modern living“ (ein Museum des modernen Lebens) sind und weil es viele neue Esswaren gibt, die wir ausprobieren wollen. Und weil in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die Läden so dünn gesät waren, dass wir planen mussten, wo und für wie viele Tage einkaufen.
In den ersten zwei Tagen halten wir uns der Einfachheit halber an Selbstbedienungsläden, jedenfalls bis wir die Wörter im Griff haben. Die Sprachlosigkeit in einem neuen Land ist anstrengend. Doch noch in der ersten Woche landen wir in einem kleinen Dorf im Sklep, einem gelben, einstöckigen Gebäude mit Flachdach. Drin eine lange Theke quer durch den Raum, eine Kühlvitrine mit Käse, Butter und anderen Belägen, dahinter Regale mit Alkohol, anderen Getränken, Gemüse, Toastbrote. Guten Tag, (haben Sie vielleicht) Brot? (Das da). (Und den Käse hier). (Und diese Tomate und Gurke). Und (etwas Kuchen, vielleicht soviel), gut, gut (das ist alles) gut. Danke. Auf Wiedersehen.
Nach dieser ersten Woche kommen die Wörter, haben sich in unserem Gehirn und in unseren Mündern eingerichtet. Die Leute sind freundlich und geduldig, manche beobachten unsere Polnischkenntnisse wohlwollend und amüsiert, andere weniger, aber wir kommen soweit gut durch. In einem Laden oder beim Einchecken in einem Camping ist ja meist klar, was wohl Sache ist. Wir haben ausserdem festgestellt, alle wollen Münz. An jeder Kasse. Und es gibt viel Münz (5, 2, 1 Zloty sowie 50, 20, 10, 5, 2, 1 Groszy).
Wir haben ausserdem den Eindruck, dass hier die soziale Distanz geringer ist als bei uns. Wir erleben, dass die Menschen in Schlangen (für uns zu) nah aufrücken, sich problemlos im Laden an einem vorbeidrängen, dass die Zelte eng gestellt werden (wir hatten schon ca. 1.50m Abstand, was in Deutschland oder in der Schweiz undenkbar wäre) und dass sie es auch in den Ferien gerne nah aufeinander haben. Es wird nämlich viel gebaut hier an der polnischen Ostseeküste, neben Hotels auch Anlagen mit kleinen Häusern – manchmal direkt aneinander, manchmal mit einem Meter Distanz dazwischen.
Seit der Grenze fahren wir auf dem Europäischen Radfernweg R10 entlang der Ostseeküste. Es war nicht unbedingt unser Ziel, aber wenn Radwege in die richtige Richtung führen, folgen wir ihnen ganz gerne. Auf den ersten zwölf Kilometern von Swinoujscie nach Misdroy sahen wir unsere Befürchtungen bestätigt, dass die Strassenverhältnisse schlechter seien als in Ostdeutschland. Seit Misdroy haben sich unsere Erfahrungen ziemlich geändert.
Der R10 (zwischen Swinoujscie und Ustka, wo wir jetzt sind) ist zu einem geringen Teil unbefestigt, und wenn, sind es gute Gravelstrassen oder nicht allzu sandig. Ausserdem hat die EU investiert, wie Schilder zeigen: der Radweg ist über weite Strecken gut bis sehr gut ausgebaut, allerdings kaum markiert. Ein deutscher Radler, den wir getroffen hatten, kaufte sich nach den ersten Kilometern eine Karte – in unserer App Osmand ist der R10 ausgewiesen. Der Radweg ist teilweise so gut ausgebaut, dass es bizarr wirkt: hier feiner Teer, auf der Strasse Betonplatten. Durch Kolberg wurden wir komplett auf einem in rötlichen Steinen „gemauerten“ Radstreifen geleitet, ohne uns zu verfahren oder etwas suchen zu müssen. Durch die Wälder, die die Ostseeküste hier säumen, führen breite geteerte Wege, halb für Velos, halb für FussgängerInnen auf dem Weg zum Strand, immer wieder kreuzen die Wege vom Parkplatz zum Meer die Velo-Strässchen. Bei diesen „Eingängen“ zum Strand gibt es auch immer wieder saubere Dixieklos.
Insofern ist unser Einstieg in Polen glimpflich verlaufen. Denn mit neuen Ländern ist es ja immer so eine Sache: Werden wir das Land mögen? Wird es uns mögen? Wird es mit der Sprache klappen? Werden wir uns wohl fühlen?