Khao Lak Day 2

Im gekühlten Hotelzimmer (irgendwas um die 26-28 Grad) und hinter den geschlossenen Vorhängen (da es bereits um sechs hell ist), fühlt sich das Leben zeitlos an. Definierte Randbedingungen halt. Dann schiebe ich den Vorhang zur Seite, sehe die Sonnenflecken auf dem Haus gegenüber, drehe am Türknopf und stelle mich vor die Tür. Ebenso zeitlos scheint draussen die Sonne, es ist warm, ein paar Vögel pfeifen in dem Bündel von Kokosnüssen, die mehrere Meter über mir an einer Palme hängen. Ein Gecko huscht an der Wand vorbei. Das Meer rauscht. Irgendwie macht das Wetter in der Schweiz mehr Freude: Wenn ich am Morgen aufstehe, bin ich gespannt, wie das Wetter ist. Hier ist es immer schön und warm. 
Beim Frühstück sehen wir, dass es noch Liegen in der ersten Reihe frei hat, aber wir widerstehen. Das Tsunami Museum wollen wir besuchen. Nachdem wir erfolgreich alle Taxi-, Massage- und sonstigen Rufe umgangen sind, sehen wir das Museum schon auf der anderen Seite der Hauptstrasse. Diese zu überqueren ist nicht ganz einfach, auf der geraden Strecke wird sehr schnell gefahren. Aber es gibt eine Ampel für die Autos (nicht aber für den Fussgängerstreifen) und wenn die einen abbiegen dürfen, kommen auch wir wohlbehalten auf die andere Seite.

Am 26. Dezember 2004 hat 240 Meilen vor der Küste von Indonesien ein Erdbeben der Stärke 9,1 stattgefunden, das – wie meist – dem „Ranggen“ zweier tektonischer Platten geschuldet war. Während durchschnittliche Erdbeben rund 30 Sekunden dauern, hielt dieses Erdbeben über 9min30 länger an, also ganze zehn Minuten. Das bewegte Milliarden Tonnen von Ozeanwasser, die rasend schnell auf die Küsten zuschossen. Stärke und Distanz dieser Wellen wird dabei beeinflusst durch den Meeresboden und durch die Art des Strands. Auf flachen Stränden wie hier in Khao Lak wirkte sich deshalb die Zerstörung verheerender aus als auf den steileren Stränden von Phuket, so jedenfalls erzählte die Ausstellung.

Dieses viertschlimmste Ereignis in der Geschichte der Menschheit verursachte Tausende von Toten, Verletzten, Obdachlosen und massive Materialschäden in zwölf Ländern rund um den Indik, von Indonesien bis Somalia. Es war so gewaltsam, dass sich der Nordpol um einen Inch (rund 2.5 Zentimeter) verschob.

So ein Ereignis hat grosse Auswirkungen auf die Umwelt. Teilweise konnten abgerissene Korallenstücke auf gesunde Riffs „transplantiert“ und somit gerettet werden. Der Diversität im Tierreich hatte der Tsunami offenbar deutlich weniger geschädigt, soweit berichtet wird. Die Meerestiere waren im Wasser offenbar recht gut aufgehoben. Das Salzwasser verunreinigte grosse Flächen landwirtschaftlichen Nutzlandes und verseuchte Trinkwasserspeicher und Süsswasser-Teiche. Dazu kam der ganze Müll: 35’000 Tonnen wurden nur schon auf den Phi Phi Islands zusammengetragen. Ausserdem geht man davon aus, dass in Somalia Regionen betroffen waren, in denen nuklearer Abfall gelagert wurde. Wird dieser ins Land hineingetragen, führt es zu gesundheitlichen und umweltlichen Schäden.

Erstaunlicherweise gibt es auch einige wenige positive Effekte. Einige Sandstrände wurden mit feinem Sand aus den Tiefen des Ozeans bedeckt. Teilweise weist seit dem Tsunami das Küstenwasser in einigen Gebieten eine bessere Qualität auf. 

Obwohl ein Grossteil des landwirtschaftlichen Landes mit Salzwasser durchnässt worden war, hatten Bauern verschieden zurückgemeldet, der Boden sei seit dem Tsunami fruchtbarer als vorher. 


Innert 24 Stunden führte der Tsunami zu 230’000 Toten, 430’000 Häuser wurden zermalmt und über 2000 Meilen Strassen unbefahrbar gemacht. Rund 100’000 Fischerboote wurden zerstört. Der (Material-)Schaden in diesen ersten 24 Stunden beläuft sich auf 10 Milliarden US-Dollars.

Die UNO schätzte, dass 1,8 Millionen Leute sofort Nahrung brauchten. Elektrizität, Abwasser und Telefonkommunikation waren zusammengebrochen. Wasserrohre waren beschädigt, Trinkwasserquellen verunreinigt. Hohes Risiko bestand für Cholera, Typhus und Dysenterie. Da die Infrastruktur zusammengebrochen war, war es sehr schwierig, zu den Menschen zu gelangen. 

Die Müttersterblichkeit nahm drastisch zu, weil die Kliniken zerstört oder überfordert waren, das Material fehlte und Laien bei Geburten halfen. Eine Million Kinder war obdachlos und/oder zu Waisen geworden. Unter anderem die Royal Thai Army half, temporäre Schulen aufzustellen. Viele Kinder gingen innert zwei bis vier Wochen nach dem Tsunami wieder in die Schule.

Die Ausstellung war natürlich auf Thailand und insbesondere Khao Lak (die Gegend hier) konzentriert. Insgesamt hat es nicht aber natürlich Indonesien am stärksten getroffen, da sich das Erdbeben nur ein paar Hundert Meilen vor seiner Küste ereignet hat. Daher hatte das Land auch den weitaus grössten Teil der Toten zu beklagen

Zwei Stunden nach dem Erdbeben war die Andamanküste von Thailand verwüstet. Ein Warnsystem hätte gereicht, um zumindest die Menschenleben zu verschonen. Wie so oft, gibt es erst seit dem Vorfall ein solches Warnsystem. Wir haben die blauen Tafeln schon öfters gesehen, die „90m“ sagen und nach 90 Metern kommt eine mit 300m, jeweils in eine andere Richtung. Man wird sehr zuverlässig in höhere Gebiete geführt.

Das System beruht auf verschiedenen Instrumenten, die an Land und am Meeresboden resp. am Ufer Wetter, Klimaveränderungen, Ozeanbedingungen, Wasserdruck und Aktivität, Meereshöhe und Tide messen. Damit kann ein Tsunami in 10 Minuten entdeckt werden.

Die ersten Symptome für einen Tsunami sind ein Erdbeben auf See (das aber oft nur von der Wissenschaft/Überwachung wahrgenommen wird) und ein unnatürliches Absinken des Wasserpegels, als würde der Ozean erst einmal richtig Luft holen. 

Schiffe auf See, das heisst, ab einer Wassertiefe von 180 Metern, bleiben bei einer Tsunami-Warnung am besten draussen. Schiffe in flacheren Gewässern begeben sich in tiefere. 

Im oberen Stock des Museums werden Augenzeugenvideos gezeigt, wir machen nur eine schnelle Runde. Es ist zu hoffen, dass die Leute überlebt haben, die da filmten. Auch wenn sie sich besser in Sicherheit gebracht hätten, ohne zu filmen.

Wir haben gewusst, dass der Tsunami die Küste hier in Mitleidenschaft gezogen hat und trotzdem schauen wir plötzlich anders auf Leute und Landschaft. 2004 ist 12 Jahre her, wer also jetzt zwanzig ist, war damals ein Kind, hat höchstwahrscheinlich Verwandte und Freunde verloren. Wir sind die letzten Tage jeweils einige Kilometer landeinwärts gefahren, der Vegetationsstreifen entlang der Küste ist Wald, Landwirtschaft, Crevetten-Produktion. Zwölf Jahre reicht, um vieles wieder aufzubauen und soweit wir das erkennen konnten, gibt es nicht mehr viele Anzeichen für das Ereignis. Aber viele Anzeichen würden wir wahrscheinlich auch nicht erkennen. 

Ein Polizeischiff wurde einen Kilometer ins Landesinnere getragen und dient im Tsunami Memorial Park als eindrückliches Zeugnis. Darum herum schlägt Profit aus dem Tsunami, wer kann. Einerseits verstörend, andererseits völlig nachvollziehbar. Wir stellen fest, dass es nicht nur ein Tsunami Museum gibt, sondern mehrere. Aber es gibt hier auch nie nur eine Touristinformation, sondern es scheint eher so, als ob jeder Laden, der etwas mit Touris, Information (und Verkaufen) zu tun hat, sich als Touristinformation bezeichnet.

Als Erholung von dem ernsten Thema gingen wir zur Massage – und zwar endlich zu einer „normalen“, nicht einer schmerzhaften Thaimassage. Es roch nach dem Kokosnussöl und war herrlich. Als die beiden Frauen am Ende doch noch mit den Ellbogen auf unsere Schultern lehnten, schliesslich das Knie in den Rücken bohrten und den Oberkörper nach hinten bogen und mit ihren starken Fingern jeden Wirbel einzeln behandelten, sagte Stefanie mit wuscheliger Frisur vom Nebenliege: Sie können einfach nicht ohne. Ich konnte nicht lachen, sondern war damit beschäftigt, immer schön in den Schmerz hineinzuatmen… 

Zum Mittagessen, lesen und baden verziehen wir uns ins Hotel. Gegen Abend bauen sie am Strand ein romantisches Dinner auf: ein Tisch, zwei Stühle, eine Menge Kerzen und Blumen, dazu drei Bambusstangen, die zeltartig aufgestellt und mit weissen Tüchern bespannt werden. Vom Meer aus, das heute wärmer zu sein scheint als gestern, sehen wir beim benachbarten Hotel Vorbereitungen für eine (Vermutung!) Hochzeit. Mehrere Reihen Stühle mit Hussen, zuvorderst ein Tisch mit zwei Stühlen, darüber mehrer blumengeschmückte Bögen. 

Später stellen wir fest, dass zwanzig Meter neben dem romantischen Dinner eine Leinwand aufgestellt wird, um das Spiel Manchester United – Arsenal zu übertragen..

Zusammen mit einer Handvoll anderen Leuten finden wir uns gegen 18 Uhr am Strand ein, um der Sonne beim Untergehen zuzuschauen. Sie brennt längst nicht mehr so wie am Nachmittag, aber dank der Luftfeuchtigkeit ist man trotzdem ständig verschwitzt. Interessanterweise führt das zu einer weichen, feinen Haut und auch jahrealte verhornte Stellen an den Ellbogen lösen sich irgendwie auf…

Der Sonnenuntergang in Khao Lak gilt als einer der schönsten. Nun, ich weiss es nicht, obwohl ich auch schon den einen oder anderen Sonnenuntergang gesehen habe. Persönlich bin ich ja mehr der Sonnenaufgang-Typ. Aber ja, es war ganz schön. Sie wurde immer oranger, sank gegen den Horizont, verbreitete glitzernde, ebenfalls orangenfarbene Stückchen auf dem Wasser und ich dachte an Edvard Munchs Bilder, auf denen der Sonnenuntergang stets als i dargestellt wird.

In der spannendsten Minute schoben sich Wolken vor die Sonne, was den Eindruck machte, sie sei schon untergangen. In der allerspannendsten Minute tauchte sie zwischen Horizont und Wolkenbank glutrot wieder auf und wir waren zufrieden. Mit einer angemessenenen Menge Fotos machten wir uns auf den Weg zum Nachtmarkt.

Den ganzen Tag gibt es nicht viele Leute am Strand. Aber wenn die Sonne untergeht, kommen sie.

Die Beachfront vom Strand aus.

Da Sonnenuntergänge unerträglich kitschig sind (und übrigens Einsendungen, die Bilder von Sonnenuntergängen enthalten, bei vielen Fotowettbewerben geradewegs durchfallen), durfte der Sack mit Abfall mit aufs Bild.

Ich unterstelle, dass irgendwer das Schiff speziell für diesen Abend hier geankert hat. Als Sujet vor der untergehenden Sonne.

Zwar sagte Stefanie schon, sei nicht enttäuscht, aber ich hörte nicht gut zu und war: enttäuscht. Der Markt ist mit Kleidern und Souvenirs hauptsächlich auf Touris ausgerichtet. Entsprechend sind die VerkäuferInnen. Nur im hinteren Teil wird Fisch, Fleisch und Gemüse verkauft und die einheimischen Suppenköchinnen kaufen ein. Es gibt mehrere Bars mit vielen verschiedenen Flaschen und lauter Musik, Getränkedosen schwimmen in Becken mit Eiswürfeln. Angeboten wird vorwiegend Gebratenes, Spiesschen und Würstchen. 

Ich hatte gestern eine leichte Magen-Darm-Geschichte und mir wurde ob dem ganzen Gebratenen und Musik und Tourismus-Dralalala ein bisschen schwummerig. Also liessen wir das alles hinter uns und suchten uns eine nette Suppenküche mit grellem Licht und bunten Plastikstühlen.

Wir assen gebratenen Reis und Suppe mit Glasnudeln und Hackfleisch und tranken Wasser. Dazu stellte uns die Frau je einen halben Liter als Flasche hin – vermutlich trinken die meisten Touris nicht das Wasser aus den Krügen, die auf den Tischen stehen. Das Wasser ist aber das gleiche, das im Krug kommt nur aus einem grösseren Behälter. Punkto Wasser: Gestern haben wir ein paar Gäste im Hotel beobachtet, wie sie die Eiswürfel neben eine Palme gekippt haben. Ihnen hat man bestimmt gesagt, sie dürften keine Eiswürfel nehmen. In Thailand kommt aber der allergrösste Teil der Eiswürfel aus einer Fabrik und ist daran erkennbar, dass es klares (durchsichtiges) Eis ist in Röhrenform. Diese Eiswürfel werden in grossen blauen Kühltruhen geliefert. Wir haben oft Pickups und Lastwagen gesehen, die mit Kühltruhen beladen waren. Wir haben also immer Wasser mit Eis getrunken. Obwohl das Eis im Glas schnell schmilzt, ist es deutlich erfrischender, als kühles Wasser ohne Eis zu trinken. 

Katharina


Im Dorf verkaufen sie Benzin in Flaschen – für die gemieteten Roller.

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